Alfred Andersch: Die Rote

Die Rote Book Cover Die Rote
Alfred Andersch
erschienen 1972 (überarbeitete Fassung)
Belletristik
Diogenes
254
3257236026

Inhaltsangabe:

Italien 50er Jahre: Die Fremdsprachen-Korrespondentin Franziska ist mit ihrem Mann Herbert auf Geschäftsreise in Mailand, als sie nach einem Disput beschließt, ihn zu verlassen. Ohne Papiere und mit wenig Geld reist sie ins winterliche Venedig und versucht sich ihrer Situation klar zu werden.

Ein elementarer Teil ihrer Gedanken dreht sich um eine mögliche Schwangerschaft und um ihre Affäre mit Herberts Chef Joachim. Weil Joachim sie nicht geheiratet hat, willigte sie in die Ehe mit Herbert ein, ohne die Affäre zu Joachim zu beenden.

In Venedig macht sie die Bekanntschaft mit Patrick, einem reichen irischen Segler. Ohne es zu ahnen reißt er sie in einen perfiden Plan um Rache und Schuld hinein.

Mein Fazit:

Dieses Buch habe ich gelesen, weil ich an einem Lese- und Diskussionskreis hier in unserer Nachbarschaft beteiligen wollte. Schließlich ist es auch eine angenehme Sache, auch mal über Bücher zu diskutieren.

Ehrlich gestanden fand ich das Buch einfach nur grauenvoll. Es ist für mich überhaupt kein Problem, Bücher aus anderen Zeiten über andere Zeiten zu lesen. Doch der Autor hat hier einen höchst eigenwilligen Erzählstil gezeigt, mit dem ich bis zum Ende nicht klar gekommen bin. Und wäre dieses Buch eben nicht für die Diskussionsrunde gewesen, hätte ich es ganz sicher nach wenigen Seiten abgebrochen.

Erzählt werden in abwechselnden Abschnitten die Geschichte um Franziska und Fabio. Während Franziska in der Inhaltsangabe ja schon beschrieben, komme ich jetzt auf Fabio zu sprechen. Fabio, knapp 50, ist Musiker und war früher im spanischen Bürgerkrieg als Soldat unterwegs. Seine Existenz ist bescheiden, doch scheint er hin und wieder zu bedauern, dass er keine Familie hat.

Warum Fabio so genau beleuchtet wurde, wurde mir erst in der Diskussion gewahr. Aber beim Lesen stellte ich mir oft die Frage, warum er so eine große Rolle spielt, schließlich gab es nur zwei kleine Schnittstellen mit Franziska. Zwischendrin gibt es sogar noch kurze Passagen von Fabios Vater, die wohl auf seinen Kältetod auf See andeuten, aber teilweise auch so kryptisch sind, dass ich mich fragte, was das alles für einen Sinn hat. Die Beschreibungen der Stadt und den Menschen wirkte auf mich oft wie eine Aufzählung. Sehr lange Sätze und immer wieder Kommas beherrschen die vielen absatzlosen Seiten, so das mir eine Seite manchmal wie fünf vorkamen! Die Dialoge waren sparsam eingesetzt, was ich sehr bedauerlich finde, denn etwas mehr wäre in diesem Falle auch mehr gewesen.

Franziska blieb mir die ganze Zeit fremd, ihre Gedankengänge konnte ich oftmals nicht nachvollziehen, zumal sie für die damalige Zeit ziemlich fortschrittlich war. Aber dann verlässt sie ihren Mann so Hals über Kopf, das man ratlos zusehen kann, wie sie um ihre Existenz bangt.

Die Diskussion im Lesekreis dazu fand ich anregend und inspirierend, aber das Lesen dieses Buch war für mich verschenkte Lebenszeit. Daher gibt es auch nur die Mindestbewertung von zwei Sternen!

Anmerkung: Ich habe es als eBook gelesen!

Veröffentlicht am 28.01.18!

2 Gedanken zu „Alfred Andersch: Die Rote“

  1. Es ist schade, dass Du den Roman so schlecht beurteilst und ihm damit viele Leser(innen) nimmst, Lange Sätze und wenig Dialoge sind m. E. keine negativen Kriterien, wenigstens wenn die Sätze nachvollziehbar sind und die Dialoge die Handlung vorantreiben, wie es hier der Fall ist.
    Es sind mehrere Themen, die Andersch in seinem Roman behandelt und die auch für heutige Leser noch von Interesse sind. Vordergründig ist es zuerst einmal eine Emanzipationsgeschichte. Die alleinstehende Frau, die sich selbs versorgt und dabei nicht mehr im Verbund ihrer Familie lebt ist für die Gesellschaft der 50er Jahre noch etwas total Fremdes. Da Franziska nun auch noch rothaarig ist, was von vielen Männern mit sexueller Leidenschaftlichkeit assoziiert wird, kommt es immer wieder zu der Gleichung bei den Männern: Die Rote = Die Hure. Dass sie gleichzeitig als “exquisit” wahrgenommen wird, also als Mitglied der besseren Gesellschaft, macht sie nur noch verdächtiger – und begehrenswerter. Franziska lebt also in einem Umfeld von Stereotypen und Klischees, dem sie zu entrinnen versucht – eine Erfahrung, die so manche Frau sicherlich auch heute noch macht.
    Das zweite Thema ist der Krieg mit seinen Nachwirkungen. Viele der Protagonisten haben mit den Kriegsfolgen zu kämpfen, als Täter wie als Opfer. Kramer, der Täter, ist Mitglied einer Organisation von Alt-Nazis und Kriminellen, die ihn schützt und unterstützt. So hat er jedoch keine Chance, Schuldgefühle zu entwickeln, gar Reue zu empfinden, sich – ggf. nach Verbüßung einer Haftstrafe – in eine neue demokratische Gesellschaft zu integrieren. Er lebt in einer Blase ähnlich denen, die wir heute in den sozialen Netzwerken beobachten können.
    Patrick, das Opfer, leidet unter seinem im Krieg unter Folter begangenem Verrat und hofft.sich durch den Mord an Kramer aus dieser Verstrickung lösen zu können, doch die Rache verhilft ihm nicht zu der erhofften Ruhe, sondern verstärkt noch seine Schuld(gefühle).
    Fabio hat gegen die Nazis gekämpft und für eine freie, sozialistische oder kommunistische Gesellschaft. Doch weder der Krieg noch der Sieg brachten ihn seinem Traum näher; es sind nun andere, die herrschen, andere, die sich verbiegen lassen um der Illusion der Teilhabe an der Macht willen. Auch Fabio gehört zu den großen Verlierern des Kriegs.
    Und dann ist da noch die doppeldeutige Metapher des Ostwinds, der einmal natürlich für den kalten Krieg steht, dann aber auch für die Kälte der europäischen Nachkriegsgesellschaft, für Deutschland verkörpert von Hermann und Joachim, und der, ganz real als Kältebringer, Fabios Vater, dem alten Piero, den Tod bringt.
    Erzählt wird die Geschichte aus zwei Perspektiven, der Franziskas und der Fabios. Bei Franziska gibt uns der Autor immer wieder die Gelegenheit, ihre Gedanken mitzulesen (abgesetzt durch Kursivschrift, was die Lektüre wesentlich erleichtert), und ab und an lässt er uns auch die Gedanken der Männer lesen, mit denen Franziska zu tun hat. Dieses Wechselspiel zwischen Innen- und Außensicht verleiht den Franziska-Passagen einen enormen Reiz, eine voranstrebende Dynamik, die den Leser mitreißt.
    MEIN Fazit: Andersch hat einen beeindruckenden Roman geschrieben, eine Hommage an Venedig, themen- und spannungsreich, ein Kunstwerk.

    1. Hallo Martin,

      vielen Dank für Deinen Besuch und Kommentar!

      Sollte ich andere Leser mit meiner Meinung abschrecken, dann ist es bedauerlich, aber eben nicht zu ändern. Ich bin, soviel ich weiß, bei weitem nicht die Einzige, die dieses Buch schlecht beurteilt. Dank Deines flammenden Plädoyers mag sich vielleicht der eine oder andere noch für dieses Buch entscheiden.

      Ich habe ja erwähnt, dass ich unsere Diskussion zu diesem Buch sehr inspiererend und anregend fand und ich durchaus einiges daraus gezogen habe. Aber die Rezension bezieht sich rein auf mein Lese-Erlebnis und das konnte ich – bei allem Respekt für Deine Meinung – nicht so empfinden wie Du! Und das ist ja auch das Schöne an der Literatur, die Meinungsvielfalt 🙂 Ich habe die Diskussion dazu nicht gescheut und stehe nach wie vor zu meiner Meinung.

      Ein schönes Wochenende und einen liebe Gruß, Elke!

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